LEBEN Leben funktioniert. Wir versuchen mit vereinten Kräften, nicht mein Leben um den Diabetes herum zu organisie- ren, sondern umgekehrt. Was nicht immer ganz einfach ist. Natürlich nicht. Aber ich empfinde mich als unfassbar privilegiert, was die Versorgung angeht. In den U.S.A. beispielsweise sterben Menschen, weil Insulin so teuer ist. In Ruanda kostet eine Flasche mit Insulin so viel wie ein Monatsgehalt. In Deutschland sind wir so weit, dass die Versorgung sichergestellt ist. Trotzdem ist es manchmal tricky: Schon wenn ein Zug Verspätung hat, kann es schwierig werden. Bei einem Auftritt in meiner Heimatstadt Oldenburg – noch dazu an einem Sonntag – brachte mir meine Diabetesberaterin gerade noch rechtzeitig ein Insulinfläschchen auf die Bühne. Sonst hätte ich mitten im Auftritt wieder nur Marmelade im Kopf gehabt. Soll heißen, das Denken wäre mir schwergefallen. Vor Publi- kum. Ein Traum (lacht). Im DIAKOVERE Henriettenstift berät Benita Neubauer Patienten, die fürchten, an Diabetes erkrankt zu sein, und diejenigen, die lernen müssen, mit dieser Erkrankung umzugehen – und zu leben. Auch Dr. Peter N. Meier, Chefarzt der gastroenterologischen Abteilung, ist bestens mit der Thematik ver- traut. Wie ging es weiter? Ich habe viele Jahre gebraucht, um mich damit zu arrangieren. Als Teenie habʼ ich versucht, die Krankheit geheim zu halten. Hat nur bedingt geklappt. Und immer, wenn es mit meiner Karriere gerade so rich- tig losging, lag ich im Krankenhaus. Sechzehnmal in vier Jahren. Auf Platt- deutsch: Schön is anners. Sie haben nie aufgegeben … Nö. Ich habe mich mit dem Diabe- tes befasst. Ich wollte unbedingt Bescheid wissen. Mein Körper konnte eben nicht warten, bis mein Hirn die Krankheit akzeptiert. Dass ich eine Frau bin, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Wir unterliegen ja einem Zyklus, also unser Körper verändert sich hormonell alle vier Wochen. Die Krankheit ist übrigens auch ziemlich flott, was Veränderung angeht (lacht). Aber ich habe festge- stellt, dass es mir besser geht, wenn ich nicht ständig hadere oder dagegen ankämpfe. Alles ist möglich – ich muss es eben nur anders planen, als andere Leute. Heißt das, die Krankheit ist zu einem Teil von Ihnen geworden? Genau das heißt es. Man kümmert sich ganz automatisch um das, was Diabetes fordert. Andererseits bin ich sehr froh, dass meine Ärzte und meine Diabetesberaterin verstehen, wie mein Annie Heger ist eine der bekanntesten Entertainerinnen des Nordens, ein nor- discher Paradiesvogel. Als Mitglied der LGBTQ-Community mischt die enga- gierte Christin überall mit – und sich ein. Ob als Sängerin, als Moderatorin großer Live-Shows, als Radiospreche- rin der NDR-Kultkolumne „Hör mal ʼn beten to!“, als plattdeutsche Buchau- torin oder mit gesellschaftskritischem Kabarett: Annie Heger ist seit Jahren fester Bestandteil der deutschen Kul- turszene. Sie lebt mit ihrer Lebens- gefährtin in Berlin und ist nahezu ununterbrochen beruflich unterwegs. Und sie hat Diabetes Typ 1. Wie lange leben Sie schon mit der Krankheit, Frau Heger? Wir haben im September Silberhoch- zeit gefeiert, meine Krankheit und ich (lacht). Als ich dreizehn war, habe ich es zum ersten Mal gemerkt. An den vier T‘s. (Tired, Thirsty, Thin- ner, Toilet. Die englische Faustregel für Diabetes-Symptome: Müdigkeit, Durst, Gewichtsverlust und ständiger Harndrang. Anm. d. Red.) Also nicht ich, sondern meine Oma. Sie nahm mich beiseite und flüsterte mir ins Ohr: „Annie, kann dat wesen, dat du Zucker hest?“ s a w o r K l e a h c i M : d l i B d n u t x e T 14 DIAKOVERE Magazin