NACHDENKEN Gott und die Welt … Freie Radikale mitten im System ➤ „Junge Leute müssen auch mal freie Radikale mitten im System sein“, sagt EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich. Anna-Nicole Heinrich ist seit Mai 2021 die neue Präses der Synode der Evange- lischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Wahl der 25-Jährigen sorgte für große Aufmerksamkeit. Sie steht nach eige- nen Aussagen „für eine hoffnungsvolle, integrierende und pragmatische Kirche, die sich immer wieder neu entdeckt.“ Jeden Tag neu sind auch ihre Socken. Sie präsentiert sie selbstbewusst auf ihrem Instagram-Kanal; Statements einer jungen und modernen Kirchenver- treterin. Matthias Büschking, Leiter der Unternehmenskommunikation bei DIAKOVERE, hat sich mit ihr auch darü- ber unterhalten. ➤ Jeden Tag neue, bunte Socken: Selbst- bewusste Statements einer modernen Kirchenfrau. Wenn man sich eine Präses vorstellt, stellt man sich nicht Anna-Nicole Heinrich vor … … mittlerweile schon, oder? Ich habe das Gefühl, die Leute haben sich daran gewöhnt. Aber das reicht ja noch nicht. Hat die Kirche Sie und Ihren Antritt denn schon verstanden? Und trägt sie ihn mit? Ich würde da erstmal entgegnen, dass Kirche mich vorher nicht nicht verstan- den hat. Ich bin immerhin seit meiner Jugendzeit Teil dieser Kirche, habe mich unterschiedlich engagiert und bin da auch wirksam geworden. Ich wäre nicht solange dabei, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, da versteht mich nie- mand. Ich würde nicht sagen, dass ich die Kirche mit meinem Antritt überfordere. Sicher waren einige überrascht, aber blockiert worden bin ich kei- neswegs. Ich habe vielmehr eine große Offenheit und ein ehrliches Auf-mich-Zugehen erlebt. Viele fordern ein, mich kennenzulernen, mit mir Positio- nen auszutauschen. Ist das ein Zeichen dafür, dass da die Einsicht reift, dass Kirche sich ver- ändern muss, jünger werden muss? Oder ist das einfach eine Reaktion darauf, dass Frau Heinrich kandidierte, gewählt wurde – und man sich jetzt mit ihr beschäftigen muss? Ich glaube, die Einsicht für mich und meine Generation ist, dass wir die Räume, die uns mittlerweile gegeben werden, nutzen wollen, um unsere Wirksamkeit zu entfalten. Wir sind genauso eine Stimme in der Kirche wie die etablierten Menschen dort. Dass wir uns hier derart einbringen können, ist schon auch ein Vertrauensvorschuss. Inzwischen setzt sich durch, dass auch wir, die noch keine Professur inneha- ben, qualifizierte Positionen einneh- men können. Das hat sich durch alle Ebenen durchgetragen, in den Gemein- den und anderen Gremien. Junge Leute in der Kirche können jetzt sehr helfen, weil sie einfach viel intuitiver mit moderner Technik umgehen können, gerade in der Zeit, in der wegen Corona normaler Austausch nicht möglich war und ist. Kinder, Jugendliche und Studierende dafür zu gewinnen, als Christinnen und Christen Kirche in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, das ist eine wichtige Aufgabe. Wie viele Frau Heinrichs brauchen wir denn? Ich würde das gar nicht personalisie- ren. Überall. Überall, wo es alte weiße Männer gibt, brauchen wir auch überall junge Leute, die auch mal kritische Fra- gen stellen, die auch mal freie Radikale mitten im System sein müssen. Das ist auch gewünscht. Was war für Sie die Motivation, als Präses anzutreten? Das stand nicht auf meiner Bucket List, das war nie strategisch geplant. Ich bin aus der Mitte der Synode ange- sprochen worden. Das packt natürlich auch an der Eitelkeit. Und wenngleich ich damals dachte, dass der Schuh vielleicht doch etwas zu groß ist, hat man mich dann daran erinnert, dass ich doch diejenige gewesen war, die immer auf die Partizipation von jun- gen Menschen gepocht hatte. Und nach dieser Periode? Machen Sie weiter? Stehen andere Ämter in der EKD auf der Bucket List? Ich nenne meine Zeit als Präses aus Spaß mein Erwachsenwerden in der Kirche. Mal schauen, da gibt es keinen Plan. Außerdem gibt es viele zeitin- tensive Ehrenämter. Wir sollten mein Amt nicht höher hän- gen, als das von anderen Menschen, die auch viel Zeit investieren. DIAKOVERE Magazin 19