GOTT UND DIE WELT Gottes Volk muss beweglich sein Ein Gespräch mit Friedhelm Feldkamp, dem neuen Diakoniepastor 1. März, 9 Uhr. An seinem ersten Arbeitstag blickten ihm aus seinem Monitor rund zwei Dutzend Gesich- ter erwartungsvoll entgegen. Eine Videokonferenz – normal geworden in Corona-Zeiten. Der Anlass: Der Krieg in der Ukraine. „Was machen wir zu diesem Thema?“ Das war Anfang März die wichtigste Frage. „Mir war bis dahin gar nicht bewusst, dass Hannover ein Drehkreuz für ukrainische Flüchtlinge ist“, sagt Feldkamp. Im Team habe man dann beschlossen, sich mit allen der Dia- konie möglichen Instrumenten des Themas anzunehmen. Welches sind denn Ihre Instrumente? Die Zusammenarbeit mit anderen Ins- titutionen. Dem ukrainischen Verein etwa, den Wohlfahrtsverbänden und den Kirchengemeinden. Wir haben aus allen Richtungen überwältigend viel segensreiches Engagement erfahren dürfen. Wir haben unsere Essensaus- gabe umstrukturiert, die Geflüchteten aus unserer Kleiderkammer mit den nötigsten Dingen versorgt… Das wich- tigste Instrument war aber zu dem Zeitpunkt unsere Fantasie. Ich meine, niemand von uns hat es bisher mit einer solchen Kriegssituation zu tun gehabt. Sie nicht, ich nicht, die Kirche nicht. Fantasie. Die brauchen Sie wohl auch, um zwei so unterschiedliche Aufgaben im Diakonischen Werk wahrnehmen zu können.* Das kann man wohl sagen. Ich, der Pas- tor, wurde zu Anfang meiner Tätigkeit manchmal als charismatischer Entre- preneur bezeichnet. Klingt nett, aber ich wusste gar nicht, was das bedeutet. Also Entrepreneur. Ich hatte Latein, kein Französisch. Unternehmer, heißt das, *Gemeinsam mit Lutz Jung ist Feldkamp Geschäfts- führer der gGmbH Diakonisches Werk. (Anm. d. Red.) jetzt weiß ichʼs. Das bin ich allerdings schon lange. In meiner damaligen Pfarr- stelle, der Petrusgemeinde in Barsing- hausen, haben wir 2010 den Petrushof aufgebaut, ein Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen. Da musste ich auch schon sehr unterneh- merisch denken. Auch das gehört zu einer modernen Kirche. Ich selbst sehe mich aber nicht in erster Linie als Unter- nehmer. Wie sehen Sie sich denn selbst? Ich sehe mich als empathischen und hoffentlich authentischen Christen. Der hilft, wo Hilfe nötig ist. Ich betrachte mich als ein Geschöpf Gottes. Und da ich alle anderen Menschen auch als solche empfinde, kann mir nicht egal sein, was mit denen passiert. Zwei Ihrer Baustellen sind die Obdach- losigkeit in der Stadt und die schwierige Wohnungslage für Geringverdienende. Richtig. Housing First etwa, ein gemein- sames Projekt der Dachstiftung Diakonie, dem Verein Werkheim und der Sozialen Wohnraumhilfe, ist ein wirklich tolles Konzept. Die Soziale Wohnraumhilfe gehört ja auch in den Verbund des Dia- konischen Werkes. Da werden schon gute Wege eingeschlagen. Aber es gibt noch viel mehr Baustellen, mit denen ich mich befasse und alle haben höchst unterschiedliche Herausforderungen. Es macht mir Spaß, Dinge zu entwickeln. Und allein kriege weder ich noch sonst jemand das hin. Sie waren unter anderem zehn Jahre lang Pastor in Schellerten, einer kleinen Gemeinde bei Hildesheim. Jetzt Hanno- ver – ist das ein Kulturschock für Sie? Sagen wir so: Ich bin schon auch ein- bis zweimal aus Schellerten herausge- fahren (lacht). Ursprünglich wollte ich da gar nicht hin. Aber mein damaliger Chef, der Landessuperintendent Walter Meyer-Roscher, sah mir tief in die Augen und sagte mit sonorer, tiefer Stimme: „Gottes Volk muss beweglich sein.“ So hab‘ ich eben Schellerten angenom- men. Und es war sehr schön da. Krieg, Corona, Unternehmenschef – der Ausdruck „Freizeit“ gehört vermutlich nicht zu Ihrem Vokabular? Nicht wirklich. Ich würde gern öfter Motorrad fahren (drei Zweiräder unter- schiedlicher Marken stehen in seiner Garage), ich habe meine Posaune seit sechs Jahren nicht angerührt (Feldkamp hat lange Zeit eine Bigband geleitet und die Stücke selbst arrangiert) oder mal was mit meiner Familie unterneh- men (Feldkamp ist verheiratet und hat vier Kinder). Aber ich habe nun mal keinen 40-Stunden-Tag. Wenigstens komme ich ab und zu zum Zeichnen. ➤ Feldkamps Cartoons sind ein bisschen Perscheid, eine Prise Uli Stein, ein Klecks Till Mette. Und sie sind sehr, sehr lustig. Sie reden in Interviews nicht selten vom „Lieben Gott“. Ist das ironisch gemeint? Nein. Ich habe mir ein ganz persönli- ches Bild gemacht. Für andere ist der Begriff „Gott“ ja auch oft Platzhalter für Energie, Kraft und Zuversicht. Ich verbinde mit diesem Begriff haupt- sächlich „Hoffnung“. Ich hoffe ganz profan, dass da etwas ist. Und noch profaner: Ich glaube, das Meiste hat der liebe Gott so gewollt (lacht). DIAKOVERE Magazin 9