In der Orthopädischen Klinik der MHH wird das gesamte Spektrum der konservativen und operativen Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen angeboten. Dabei werden bei der konservativen Behandlung alle Möglichkeiten herangezogen, die eine Operation vermeiden sollen. Erst wenn diese fehlschlagen, sollte die Möglichkeit einer Operation in Betracht gezogen werden.
Bei akuten Schmerzzuständen der Wirbelsäule, die eine stationäre Aufnahme erfordern, kommt nach entsprechender Diagnostik das gesamte Spektrum der konservativen Therapie zur Anwendung. Neben einer optimalen medikamentösen Einstellung zur Schmerzreduktion werden die Behandlungen mit Physiotherapie und physikalischen Maßnahmen (Fango, Massage, Elektrotherapie etc.) individuell angepasst. Zudem werden in Abhängigkeit der Beschwerden und Befunde Injektionen durchgeführt. Ferner besteht die Möglichkeit, regelmäßig an der Rückenschule teilzunehmen, um das rückengerechte Verhalten im Alltag zu erlernen. Viele Patienten profitieren auch langfristig von den eben genannten Maßnahmen, so dass dadurch häufig Operationen vermieden werden können. Werden die Beschwerden durch die konservative Therapie jedoch nicht besser, so dass eine Operation notwendig erscheint, kann diese dann noch während des stationären Aufenthaltes eingehend besprochen und geplant werden.
Liegen Frakturen der Wirbelsäule vor, oft bedingt durch eine Osteoporose, werden hier auch wann immer möglich zunächst die konservativen Maßnahmen ausgeschöpft. Knochendichtemessungen, Einleitung bzw. Anpassung der medikamentösen Osteoporose- und Schmerztherapie, Krankengymnastik und die Versorgung mit einer speziellen Orthese (Korsett) kommen dabei zur Anwendung. Bei Bedarf können auch anschließende Rehabilitationsmaßnahmen in geeigneten Einrichtungen organisiert werden.
Handelt es sich um therapieresistente Beschwerden bei einer Bandscheibenvorwölbung der Lendenwirbelsäule (LWS) d.h. bei intaktem äußerem Faserring (Anulus fibrosus) der Bandscheibe, wird in unserer Klinik das Verfahren der Nukleoplastie angewandt. In örtlicher Betäubung kann hierbei über eine in das Bandscheibeninnere eingebrachte Sonde der Gallertkern (Nukleus pulposus) mittels Radiowellen (Coblation) geschrumpft werden. Anschließend kann der Patient sofort wieder mobilisiert werden. Der stationäre Aufenthalt dauert bei dieser Technik nur wenige Tage.
Ist in der Diagnostik ein Bandscheibenvorfall (BSV) der Lendenwirbelsäule nachgewiesen worden, kommt eine Operation in drei Fällen zur Anwendung:
Die Operation bei einem BSV der Lendenwirbelsäule besteht standardmäßig in der minimalinvasiven Entfernung des Vorfalls, bei der über einen kleinen Hautschnitt am Rücken die neuralen Strukturen in mikrochirurgischer Technik, also unter Sicht des Operationsmikroskops, entlastet werden. Auch nach diesem Eingriff können die Patienten wenige Tage später wieder nach Hause entlassen werden.
Bei einem BSV der Halswirbelsäule (HWS) kann man nur in seltenen ausgewählten Fällen das ausgetretene Bandscheibengewebe von hinten wie an der LWS entfernen, da das Rückenmark dabei verletzt werden könnte. Der Standardweg zur HWS ist deshalb von seitlich-vorne über einen wenige Zentimeter langen Hautschnitt am Hals. Ohne relevante Strukturen zu durchtrennen, kommt man zwischen Speise- und Luftröhre einerseits sowie Gefäß- und Nervenbündel andererseits sehr schonend zu den Halswirbeln. Die Bandscheibe mitsamt dem Vorfall wird ebenfalls unter Sicht des Operationsmikroskops entfernt, und dem Wirbelkanal mit Rückenmark und Nervenwurzeln wird ausreichend Platz geschaffen. Anschließend wird als Ersatz der entfernten Bandscheibe ein Platzhalter (Cage) aus Kunststoff implantiert, der innerhalb von 6-12 Wochen fest mit den angrenzenden Wirbelkörpern verwächst, so dass schließlich eine Versteifung des Segmentes resultiert (Abb. 1). Eine relevante Bewegungseinschränkung der HWS ist dadurch aber nicht zu erwarten. Manchmal müssen auch ein oder mehrere Wirbelkörper ersetzt werden, welches dann eine zusätzliche Plattenfixierung erforderlich macht, um noch mehr Stabilität zu erzielen (Abb. 2). In ausgewählten Fällen ist auch die Implantation einer Bandscheibenprothese möglich, mit der die Beweglichkeit meist erhalten werden kann. Dieses Verfahren kommt bei jüngeren Patienten mit festem Knochen und nicht zu ausgeprägten degenerativen Veränderungen in Frage und wird wie bei den versteifenden Techniken seit vielen Jahren mit guten Ergebnissen in unserer Klinik eingesetzt (Abb. 3). Nach Operationen an der HWS dauert der stationäre Aufenthalt auch nur wenige Tage.
Die häufigsten Wirbelbrüche werden in unserer Klinik bei Patienten mit Osteoporose behandelt. In vielen Fällen können diese Frakturen durch eine konservative Therapie (s.o.) erfolgreich behandelt werden. Sollten sich die Schmerzen jedoch darunter nicht bessern oder die Wirbel noch mehr zusammenbrechen, können diese Wirbel bei intakter Hinterkante durch das Verfahren der Kyphoplastie stabilisiert werden, indem über einen winzigen Hautschnitt und eine Kanüle Knochenzement in den gebrochenen Wirbelkörper unter Röntgenkontrolle eingebracht wird (Abb. 4). Dadurch wird eine sofortige Festigkeit erzielt, so dass die Patienten direkt nach dem Eingriff aufstehen dürfen. Alle Patienten mit einer osteoporotisch bedingten Wirbelfraktur können in der Fürstenhofklinik in Bad Pyrmont weiter behandelt werden, falls eine entsprechende Notwendigkeit (z.B. optimale medikamentöse Einstellung der Osteoporose, Rehabilitation) besteht.
Bei vielen Erkrankungen der Wirbelsäule werden Versteifungsoperationen (Fusionen, Spondylodesen) notwendig. Dabei werden Wirbelsäulenabschnitte mittels Implantaten ruhiggestellt, die in allen Regionen der Wirbelsäule über unterschiedliche Bereiche angewendet werden können. Der Zugangsweg richtet sich nach der zugrundeliegenden Pathologie und kann von vorne, seitlich, hinten oder kombiniert sein. Von hinten kann die Wirbelsäule sehr gut mit Schrauben, Haken und Stäben fixiert werden, von vorne werden Hohlkäfige (Cages) als Bandscheiben- oder Wirbelkörperersatz eingebracht. Platten liefern bei Bedarf eine zusätzliche Stabilität. Für jede Spondylodese ist die Anlagerung von körpereigenem oder -fremdem Knochen nötig, um eine dauerhafte feste knöcherne Versteifung zu erzielen. In Abhängigkeit der erreichten Primärstabilität erfolgt die sofortige Mobilisation meistens ohne Korsett. Bei zusätzlich eingeengtem Wirbelkanal (Spinalkanalstenose) oder Bandscheibenvorfällen werden über Erweiterungsoperationen (Dekompression) oder Maßnahmen an der Bandscheibe selbst die neuralen Strukturen von jeglichem Druck befreit.
Indikationen für Spondylodesen der HWS, BWS und LWS sind:
Komplexe Deformitäten wie Skoliosen und Kyphosen erfordern ab einer gewissen Ausprägung eine meist langstreckige Aufrichtungsspondylodese, alternativ oder zusätzlich auch Korrekturen von vorne, deren Operationszeitpunkt optimal abgestimmt werden muss. So werden im Kindes- und Jugendalter sämtliche konservative Behandlungsansätze ausgeschöpft, um eine Zunahme der Wirbelsäulenverkrümmung zu verhindern. Neben Krankengymnastik und halbjährlichen Verlaufskontrollen in unserer Wirbelsäulensprechstunde gehört dazu auch ab einer bestimmten Ausprägung der Krümmung die Korsettversorgung. Diese dient während des Wachstums als Lenkung der Wirbelsäulenkrümmung. Nach Beendigung des Wachstums kann das Korsett dann abtrainiert werden, da es den lenkenden Effekt auf die Wirbelsäule verliert, vorausgesetzt, dass keine Operation durchgeführt werden muss. Sollte doch ein korrigierender chirurgischer Eingriff notwendig werden, findet dieser dann unter kontinuierlicher Ableitung der Leitungsfähigkeit des Rückenmarks (Neuromonitoring) statt, um rechtzeitig eine Schädigung der Nerven und des Rückenmarks erkennen zu können. Die Nachbehandlung besteht aus einer frühzeitigen und in der Regel korsettfreien Mobilisation.
Bei bestimmten Indikationen erscheint die Stabilisierung eines Wirbelsäulenabschnittes sinnvoll, ohne dass jedoch gleich eine Versteifung durchgeführt werden müsste. An der HWS und LWS bietet sich hierfür bei sehr ausgewählten Krankheitsbildern die Implantation von Bandscheibenprothesen an (s.o.). An der LWS haben so genannte interspinöse Spacer (Platzhalter, die zwischen die Dornfortsätze geklemmt werden) dann ihre Berechtigung, wenn z.B. ein Segment zusätzlich zu einer Dekompressions- oder Bandscheibenoperation stabilisiert werden soll, um einer möglichen Instabilität vorzubeugen (Abb. 8). Ein weiterer Effekt ist die indirekte Erweiterung des Wirbelkanals durch die Spreizung des operierten Segmentes.