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Die Wahrheit über Schmerzmittel

Interview u.a. mit Dr. Nicolas Jakobs in der "tv hören und sehen 4/22"

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Mit freundlicher Genehmigung der tv Hören und Sehen

Wenn der Schmerz nicht mehr nachlässt

Text und Interview sind in der Neuen Presse vom 14. Juli 2018 erschienen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neuen Presse.

Schmerz lass nach: Für rund 23 Millionen Menschen in Deutschland ein verzweifelter Wunsch – sie leiden unter chronischen Schmerzen. Medikamente sind da oft eher Fluch als Segen. Experten raten zu einer bedachten Herangehensweise, vielen Gesprächen und einer breit aufgestellten Therapie.

von Janik Marx

HANNOVER. Die Zahlen klingen erst mal unglaublich: Weit mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland sollen unter chronischen Schmerzen leiden. Somit wäre rund jeder Vierte hierzulande davon betroffen. Bei rund zwei Millionen Menschen äußern sich die Schmerzen so massiv, dass sie in ihrem Alltag maßgeblich eingeschränkt sind. Das können etwa starke Rücken-, Glieder-, Kopf oder Nervenschmerzen sein. Doch häufig haben die Patienten ein Problem: Man sieht ihnen ihre Schmerzen nicht an: „Es ist schwierig zu verstehen für Verwandte, Freunde und Kollegen“, sagt Heike Norda von „Schmerzlos e.V .“ und stellt fest: „Es fehlt an gesellschaftlicher Akzeptanz für diese Krankheiten.“

Ihr Verein organisiert Selbsthilfegruppen in mehreren Orten, darunter auch Hannover. In solch einer Gruppe könne man sich anderen Menschen, die unter ähnlichen Problemen leiden, öffnen. Norda: „Es tut einem gut, auch mit anderen Betroffenen zu sprechen.“ Doch sie betont auch: „Man bekommt dort nicht alles serviert, sondern muss auch eigenes Engagement zeigen.“ Häufiger hätten Patienten da eine falsche Erwartung. Norda, die selbst schon seit vielen Jahren unter starken Schmerzen leidet, sagt aus eigener Erfahrung: „Ablenkung ist das Beste, man sollte nicht ständig in sich hineinhorchen.“ Und man dürfe nicht den Anschluss an sein soziales Leben verlieren. Ein Arzt könne zwar jeden Menschen schmerzfrei bekommen, aber sie ist sicher: „Ein zufriedenes Leben kann man besonders durch eine Selbsthilfegruppe erreichen.“ Aus Nordas Sicht müssten auch Hausärzte besser geschult werden im Umgang mit Schmerzpatienten: „Häufig werden Schmerzen erst chronisch, weil man zu lange auf einen Termin beim Facharzt warten muss.“

Die Behandlung von Schmerzpatienten ist für Ärzte schwierig. Sie wissen oft nicht, welche Medikamente der Patient bereits einnimmt: „Es muss eigentlich immer eine enge Kooperation zwischen den Ärzten, aber auch den Patienten geben“, sagt Torsten Köster von der Fachstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit in Hannover, kurz FAM. Sonst gebe es das Risiko von Nebenwirkungen, gegenseitigen Wirkungsaufhebungen von mehreren Medikamenten und schließlich auch einer Schmerzmittelsucht: „Die Einnahme von Schmerzmitteln unabhängig vom Arzt ist sehr risikobehaftet“, stellt Köster fest. Gerade die nicht-verschreibungspflichtigen Mittel seien eine Gefahr – und würden leicht überdosiert: „Viele Menschen gehen da zu leichtgläubig heran.“ Zudem sei die Gefahr immer auch, durch die Nebenwirkungen in eine Sucht zu geraten: „Die Medikamente haben auch eine entspannende, stimmungsaufhellende oder auch antriebssteigernde Wirkung.“ Patienten neigten dann schnell dazu, die Dosis zu erhöhen – eine gefährliche Spirale.

Gerade bei einer Sucht ist es wichtig, das Problem selber zu erkennen. Eine dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln ohne Zustimmung des Arztes ist ein bedenkliches Zeichen. Für Angehörige rät Köster: „Konfrontieren Sie die Betroffenen nicht mit Vorwürfen, sondern senden Sie Ich-Botschaften, sagen Sie, dass Ihnen Verhaltensänderungen aufgefallen sind.“ Man solle versuchen, neutral zu bleiben und keine Angst vor der Reaktion zu haben.

 

„Das ist eine Volkskrankheit“

NP-Interview mit Dr. Nicolas Jakobs

HANNOVER. Er kennt jeden Schmerz: Morgen ist Nicolas Jakobs als Experte beim Rendezvous im Stadtpark. Die NP sprach vorab mit dem Oberarzt im Diakovere- Zentrum für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin.

Indianer kennen keinen Schmerz, sagt man. Ist das so?
Wohl eher nicht, dabei handelt es sich literarisch um eine kulturell bedingte Unterdrückung der Schmerzen. Es ist normal, Beschwerden entsprechend zu signalisieren. Häufig ist es bei Mädchen statthafter als bei Jungs, die schnell als „Weicheier“ verschrien werden. Aber Schmerz ist ein wichtiger evolutionärer Warnhinweis dafür, dass etwas nicht stimmt und wir uns schonen müssen. Von daher ist es erst mal ein Vorteil, sonst wäre der Mensch längst ausgestorben. Es gibt etwa 100 Menschen auf der Welt, die leiden an einem Gendefekt. Sie können keinen Schmerz wahrnehmen – und werden in der Regel nicht alt.

Früher hat man auch im Krankenhaus zwei Tabletten gegeben – fertig. Wie geht man heute mit Schmerz um?
Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Wir unterscheiden im Friederikenstift zwischen akutem Schmerz, der durch eine Erkrankung oder Verletzung auftritt und vor, während und nach Operationen direkt betreut wird, und auf der anderen Seite chronischem Schmerz, der den Betroffenen teilweise über Jahre plagt und schwerwiegenden Einfluss auf das soziale Leben und den Berufsalltag hat. Schmerz isoliert und macht einsam. In Deutschland leiden rund 23 Millionen Menschen an chronischem Schmerz – Tumorpatienten eingerechnet. Der volkswirtschaftliche Schaden liegt bei 25 Milliarden Euro. Chronischer Schmerz ist damit eine Volkskrankheit.

Wie kommt es zu chronischem Schmerz?
Wir haben jahrelang den Fehler gemacht, Schmerz ausschließlich als Symptom zu betrachten. Ist der Schmerz chronisch, ist er nicht Symptom, sondern Krankheit. Schmerzen verselbstständigen sich durch kombinierte Problematiken – wir sprechen von einem bio-psycho- sozialen Schmerzmodell. Körperliche, psychische und soziale Faktoren beeinflussen und verstärken sich gegenseitig, die Anfälligkeit für eine Chronifizierung steigt, der Betroffene gerät in einen nicht zu durchbrechenden Kreislauf.

Wie sieht die Therapie aus?
Wir führen interdisziplinäre Schmerzkonferenzen durch, auf denen sich der Patient vorstellt. Wir besprechen dann den Fall mit Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, besonders geschultem Pflegepersonal, Physio- und Ergotherapeuten sowie Psychologen. Jeder Spezialist hat einen anderen Blickwinkel, alle Informationen helfen weiter. Es macht Spaß, weil es funktioniert. Wir arbeiten mit minimalem materiellen und maximalem therapeutischen Aufwand. Unglaublich, was man damit bewirken kann.

Aber ist es nicht ratsam zu wissen, woher der Schmerz kommt?
Schmerz kann man nicht röntgen. Im besten Fall können wir die Herkunft lokalisieren. Natürlich gibt es gute Gründe, Patienten operativ zu behandeln. Aber manchmal ist der Wunsch nach Diagnostik kontraproduktiv, kostet Zeit und Geld und hilft bei Schmerz nicht immer. Wir haben eine bedachte Herangehensweise, schauen, ob eventuell Psycho- oder Physiotherapie nicht auch Nutzen bringt. Dazu muss der Patient aber auch Abstand von der häufig auftretenden passiven Erwartungshaltung an das Behandlungsteam nehmen und aktiv gegen den Schmerz angehen.

Helfen Medikamente?
Wir geben Möglichkeiten an die Hand, die Körperwahrnehmung zu verändern, damit der Schmerz in den Hintergrund tritt, schmerzfrei wird der Patient selten. Aber er kann wieder am Leben teilhaben. Opiate und andere Schmerzmedikamente wirken bei Chronikern nicht immer. Im Gegenteil, sobald wir sie absetzen, geht es den Betroffenen häufig besser. Bei älteren Menschen besteht das Problem, dass sie einen Haufen Medikamente, die über Leber und Niere abgebaut werden, nehmen, ohne die Wechselwirkung zu kennen. Teilweise nehmen sie Präparate mit den gleichen Wirkstoffen, die unterschiedliche Namen haben. Bei anhaltendem Fehlgebrauch muss man damit rechnen, sich seinen Körper zu ruinieren.

Weitere Informationen zur Therapie chronischer Schmerzen erhalten Sie auf den Seiten des Interdisziplinären Schmerzzentrums.

 
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